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Der Garten meiner Mutter von Anuradha Roy

1923 kam der deutsche Maler Walter Spies nach Bali. Er interessierte sich jedoch nicht nur für die Bildenden Künste, sondern auch für Tanz und Musik. Sein Haus war ein Treffpunkt für internationale Künstler und Intellektuelle wie Charly Chaplin und Rabindranath Tagore. Auch Anuradha Roy hat es besucht und danach die Geschichte in "Der Garten meiner Mutter" weitergesponnen, indem sie  Gayatri auf Walter Spies treffen lässt, wodurch ihr Leben und das ihrer Familie komplett auf den Kopf gestellt wird. Dieses Prinzip heißt übrigens historical Fiction.

 

Gayatri, selbst Künstlerin und Mutter von Myshkin, droht an den Zwängen der indischen Gesellschaft im Allgemeinen und an ihrer Ehe insbesondere zu zerbrechen, verlässt von einem auf den anderen Tag ihre Familie und ihren kleinen Sohn. Das Buch handelt jedoch nicht nur von der persönlichen Freiheit in Form einer künstlerischen Selbstfindung, sondern v.a. von den Konsequenzen, die ihr Verschwinden auf die Hinterbliebenen hat, v.a. auf Myshkin. 60 Jahre später erzählt er rückblickend, wie er seine Mutter in Erinnerung hat in "Der Garten meiner Mutter". Sie war eine außergewöhnliche Frau, die im Sari Fahrrad fuhr, bis in den späten Vormittag schlief und ihrem Ehemann Widerworte gab. Roy betrachtet aber auch die Freiheit auf politischer Ebene, nämlich Indiens Unabhängigkeitskampf gegen die Kolonialmacht.

 

Treffender finde ich den englischen Titel "All the lives we never lived", der besser die Träume und Sehnsüchte nach einem anderen Leben, die sich im Roman und in der Wirklichkeit nur selten erfüllen, ausdrückt.

 

Anuradha Roy hat auch mit ihrem neuesten Buch bewiesen, warum sie zu meinen LieblingsautorInnen zählt. Sie schreibt einfühlsam, kritisch und poetisch, ihr Roman ist vielschichtig, lehrreich und jede einzelne Zeile lesenswert.